Tragfähigkeiten im Tourismus

© W. Kleiner
Es braucht individuelle Lösungen für konfliktreiche Zonen

Da durch unzuverlässige Schneelage der klassische Wintertourismus in den Alpen zurückgeht, verschieben sich die Aktivitäten aus Frühling und Herbst auch in die Wintermonate. So kann sich ein bisher auf eine Saison beschränkter Tourismus zu einem Ganzjahrestourismus entwickeln und die Natur, die Einheimischen und auch die Infrastruktur an ihre Grenzen bringen. In einem Workshop im Rahmen der Fachtagung 2023 in Bad Hindelang/DE wurden Beispiele bezüglich Tragfähigkeiten im Naturraum vorgestellt und damit auftretende Probleme und Hindernisse sowie Lösungsmöglichkeiten.

Der Alpentourismus ist abhängig von Natur, Klima und den Menschen vor Ort; gleichzeitig droht er vielerorts die ökologischen und sozialen Tragfähigkeitsgrenzen zu überschreiten und trägt nicht unerheblich zur Emission von Treibhausgasen bei. Ist ein Gleichgewicht zwischen gutem Leben für Alpenbewohner*innen, Erholungssuche und Freizeit für Besucher*innen im Einklang mit der Natur also überhaupt möglich? CIPRA Deutschland ist davon überzeugt, dass Tourismus innerhalb bestimmter Grenzen langfristig „tragfähig“ sein kann. Wichtig ist die Unterscheidung in soziale, ökonomische, ökologische und infrastrukturelle Tragfähigkeit, so Henriette Adolf, stellvertretende Geschäftsführerin, die gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität München das Dossier Facts4Tourismerstellt hat. Darin wurden wissenschaftliche Erkenntnisse zu touristischen Entwicklungen und deren Umweltauswirkungen in den Alpen zusammengefasst. Je nach Perspektive – ob Einheimisch oder Tourist, ob Hotel, sensibler Naturraum oder viel befahrene Straße – ist die Tragfähigkeit unterschiedlichen einzuordnen. Es gibt allerdings keine „magische“ Zahl der Tragfähigkeit, bei der z.B. eine Besuchsgrenze gelten kann. Auch eine Patentlösung für die Tragfähigkeitsproblematik, die in vielen Gemeinden immer brisanter wird, gibt es nicht – nur individuelle Lösungen können helfen.

Villnöss in den Dolomiten hat seit der Ernennung zum Weltkulturerbe einen hohen Anstieg der Besuchszahlen zu verzeichnen. Vor allem Tagesgäste kommen in Massen in das kleine Tal, um an zwei speziellen Fotopoints einen Stopp einzulegen. Unter Alt-Bürgermeister Robert Messner hat sich das Dorf Villnöss in den letzten Jahren zu einer Slow Food Travel Destination entwickelt und möchte als Mitglied der Alpine Pearls einen entschleunigten, naturnahen Erholungsurlaub anbieten. Daher haben sie ein Konzept entwickelt, das vor allem in Bezug auf die Mobilität vor Ort Erleichterung für das Tal schaffen soll. „Man kann nachhaltigen Tourismus in einem kleinen Tal nur betreiben, wenn alle Einheimischen mit im Boot sind“, so Robert Messner, der das Konzept im Workshop vorgestellt hat.

Ein zweites Beispiel kam aus Vorarlberg: der Kummenberg gilt als Naherholungsgebiet für die vier umliegenden Gemeinden. Da der Berg aus Sicht der Einheimischen nicht als touristisches Gebiet zählt, wurde jahrelang nichts unternommen, um Wege zu beschildern oder die Neubildung von Trampelpfaden zu verhindern. Es gab immer wieder Konflikte zwischen Personen, die spazierengehen, reiten, radfahren oder klettern. Die vier Gemeinden haben sich schließlich zusammengetan, um mit max2, einem Büro aus Innsbruck, ein Nutzungskonzept für den Kummenberg zu entwickeln, in dem alle Nutzungsgruppen ein Angebot finden. Ein Hauptbestandteil der Konzeptentwicklung war eine Umfrage, an der über 900 Einheimische teilgenommen haben. Aufgefallen ist, dass die Personen am Kummenberg nicht nur einer Nutzergruppe zuzuordnen sind, sondern mehreren: an einem Tag gehen sie dort mit dem Hund spazieren, am nächsten Tag sind sie mit dem Mountainbike unterwegs. Es musste also eine Strategie entwickelt werden, in der sich möglichst viele Teilnehmende wiederfinden können. Das Konzept ist aktuell fertig und muss nun umgesetzt werden. Gerd Hölzl, Bürgermeister in einer der Gemeinden, sieht vor allem die Umsetzung des MTB-Trails als Herausforderung, da der geplante Trail auf Privatgrund laufen würde. Allerdings setzen er und Elisabeth Schnegg von max2 große Hoffnung in die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für ein friedvolles Miteinander am Berg.

Auch durch andere Beispiele aus der Workshop-Runde ist klar geworden, dass das Thema Tragfähigkeit nicht nur in touristisch stark frequentierten Gebieten diskutiert werden muss, sondern auch in Naherholungsgebieten, die hauptsächlich von Einheimischen genutzt werden. Weitere Eindrücke kamen aus dem Triglav-Nationalpark in Slowenien, aus Ruggell in Liechtenstein und auch von der Gastgeberin Frau Dr. Rödel aus Bad Hindelang. Über Information und Sensibilisierung soll eine möglichst sanfte Besucherlenkung stattfinden, wenn dies nicht erfolgreich ist, werden auch Strafen als Konsequenzen eingesetzt.

In vielen Gemeinden im gesamten Alpenraum spielt die Tragfähigkeit in all ihren Formen eine Rolle. Ein Fazit des Workshops war, dass es keine Pauschallösung gibt, mithilfe derer Probleme hinsichtlich überhöhter touristischer Nutzung angegangen werden. Jede Gemeinde, jedes Gebiet muss individuelle Lösungen finden, kann sich aber natürlich von anderen Orten etwas abschauen.

Ab Dezember 2023 steht zu diesem Thema eine Podcast-Folge zur Verfügung und gibt noch weitere Einblicke in die Thematik.